Existentielle Grundbedürfnisse

Zwei Frauen unterhalten sich im Buero ueber ihre Grundbeduerfnisse.

Existentielle Bedürfnisse sind wichtig – erst dann kommt die Frage nach dem Lebenssinn


Die Medien sind voll mit Artikeln, die uns glauben machen wollen, wie wichtig es für uns ist, nach dem Sinn des Lebens zu fragen oder zumindest unsere Berufung zu finden. Dabei wird völlig übersehen, dass erst unsere eigenen existentiellen Bedürfnisse erfüllt sein müssen, ehe wir uns diesen sinnstiftenden Fragen entspannt stellen können.

Es ist aber nicht nur wichtig unsere Grundbedürfnisse zu kennen, sondern auch über ihre Rangordnung Bescheid zu wissen. Erst dann wird uns klar, warum wir so handeln, wie wir handeln. Diese Reihenfolge ist individuell abhängig von unserer Biographie, unseren Glaubenssätzen und von unserem Lebensabschnitt, in dem wir uns gerade befinden. Aufgrund der ersten zwei Grundbedürfnisse treffen wir unsere wichtigsten Entscheidungen im Leben.

Die Erfüllung der sechs Grundbedürfnisse entscheidet über dein glückliches Leben


Im Folgenden beschreibe ich unsere sechs Grundbedürfnisse genauer. Die Bedürfnisse fünf und sechs werden erst für uns wichtig, wenn die zuvor genannten vier existentiellen Grundbedürfnisse befriedigt wurden. Bei den meisten meiner Klient:innen stehen die Bedürfnisse nach Sicherheit und nach Liebe und Verbindung auf den ersten beiden Plätzen.

1.) Das Bedürfnis nach Sicherheit:
Jeder Mensch hat das tiefe Grundbedürfnis nach einer sicheren Existenz, die seine physischen Bedürfnisse, sein „Überleben“ sichern. Das Streben nach Selbsterhaltung, nach körperlicher und seelischer Unversehrtheit, drückt sich aus durch: Ein Dach über dem Kopf, genug zu Essen und zu Trinken, ausreichender Schlaf, angenehme Temperatur sowie Schmerzfreiheit. Zusätzlich vermitteln uns Zuwendung und Liebe ein Gefühl von Sicherheit. Jeder weiß mittlerweile, dass ein Baby trotz ausreichender Nahrung,  ohne liebevolle und fürsogliche Zuwendung, keine Überlebenschance hat.

2.) Das Bedürfnis nach Abwechslung:
Wir wollen neue Anregungen und Veränderung. Selbst die kleinsten Kinder brauchen Abwechslung, um nicht zu verkümmern. Herausforderungen machen das Leben erst farbenfroh. Die Zukunft erscheint positiv, solange man sie in der Gegenwart aktiv gestalten kann. Fehlt diese Aktivität, können sich schnell Gefühle der Langeweile und der Sinnlosigkeit einschleichen.

3. Das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und dem Gefühl gebraucht zu werden:
Menschen brauchen das Gefühl, einen Platz in der Welt zu haben und wichtig für andere zu sein. Das trägt zu unserem positiven Grundlebensgefühl bei. In meinen Hypnosesitzungen wird stets deutlich, dass die fehlende Aufmerksamkeit und Wertschätzung von uns wichtigen Personen, der häufigste emotionale Schmerz ist. Wir wollen alle gesehen und gebraucht werden.

4. Das Bedürfnis nach Liebe und Verbindung – nach einer Gruppenzugehörigkeit
Wir müssen uns verbunden und geliebt fühlen. Dieses Gefühl kann nicht nur durch eine Partnerschaft oder die Familie befriedigt werden, sondern auch durch Vereine, Gruppen und andere Institutionen. Eine Gruppenzugehörigkeit stärkt das Selbstwertgefühl und gibt uns Selbstbestätigung. Ist sie nicht vorhanden, haben wir Angst ausgestoßen zu werden und nicht mehr dazuzugehören. Dies führt leider oft dazu, dass wir lernen uns zu verbiegen und Rollen zu spielen.

Oft zahlen wir einen hohen Preis, um Anerkennung zu bekommen. Wir lernen anderen mehr zu glauben als uns selbst - und geben dabei leichtfertig unser Selbst auf. Wir gehen angepasst durchs Leben und fühlen oft erst in der zweiten Lebenshälfte, wie sehr es schmerzt, auf sich selbst all die Jahre verzichtet zu haben. Dann dürfen wir uns wieder der Bewusstwerdung hingeben und einen Raum für unsere vernachlässigte Intuition schaffen.

5. Das Bedürfnis nach Wachstum:
Wir haben ein evolutionäres Streben nach Weiterentwicklung und Wachstum. Unser seelisch-geistiges Wohlbefinden hängt davon ab, ob wir uns erlauben etwas Neues zu entdecken und uns auszudehnen. Wir streben danach, über uns hinaus zu wachsen. Das kann sich durch ganz individuell geistige, seelische, oder körperliche Fähigkeiten und Talenten ausdrücken.

6. Das Bedürfnis einen sinnvollen Beitrag im Leben zu leisten:
Menschen wollen, dass ihr Leben einen einzigartigen Sinn hat. Sie wollen erfahren, warum sie gerade dieses Leben führen und welchen Zweck ihr Dasein hat. Hierzu gibt es viele psychologische und spirituelle Konzepte, die uns in viele „Erleuchtungsfallen“ tappen lassen können. Dabei wäre es wesentlich einfacher, sich für das ureigene Bewusstsein zu öffnen, das wir alle in uns tragen.

Psychische Probleme durch Nichterfüllung der Bedürfnisse


Meistens kommt es zu psychischen Problemen im Leben, wenn ein oder mehrere Grundbedürfnisse die wir für sehr elementar halten, über einen längeren Zeitraum nicht befriedigt werden können. Wir sind frustriert, wenn wir uns nicht beachtet oder geliebt fühlen, unsere Sicherheit in Gefahr ist, oder wir uns gesellschaftlich ausgeschlossen und alleine fühlen. Alle diese Bedürfnisse sind in jedem Menschen vorhanden - jedoch in unterschiedlicher Ausprägung und Reihenfolge.

Wenn wir einen guten Job haben (Sicherheit und Anerkennung), ein tolles Zuhause (Sicherheit), einer Gemeinschaft, wie z.B. einem Verein angehören (Aufmerksamkeit und gebraucht werden) und eine Familie (Liebe und Verbindung) gegründet haben – kommt bei vielen Menschen plötzlich die Frage nach dem LEBENSSINN!

Midlifecrisis – Fluch oder Segen?


Die Bedürfnisse fünf und sechs werden erst wichtig für uns, wenn alle zuvor genannten vier existentiellen Grundbedürfnisse befriedigt wurden. Unser physisches und psychisches Wohlbefinden – unser Überleben - muss sicher gestellt sein. Die sogenannte „Sinnkrise“ oder klassisch genannte „Midlifecrisis“, wird gesellschaftlich immer noch belächelt und erntet ein arrogantes „Kopfschütteln“.

Da hat doch ein Familienvater alles im Leben erreicht – und plötzlich kommt der starke Drang auszuwandern oder eine neue Partnerin ins Leben zu rufen, oder sogar den Beruf zu wechseln und eine völlig neue Existenz aufzubauen. Viele Menschen erkennen plötzlich, dass sie keinen Sinn im Leben haben, da sie nicht mehr wachsen und auch keinen sinnvollen Beitrag im Leben leisten. Die Frage mit Anfang vierzig: „Was ist bloß los mit mir, ich habe gesellschaftlich alles erreicht – warum fühle ich mich trotzdem so leer?“,  kann durchaus berechtigt sein.

Diese Frage wird mir in meinen Beratungen oft gestellt und sie ist völlig legitim. Wir sind nur noch so konditioniert, dass wir glauben,  mit dem zufrieden sein zu müssen, was wir haben. Wenn wir aber wissen, dass die Bedürfnisse nach Wachstum und Sinnstiftung im Leben völlig normal sind, können wir versuchen ihnen mehr Raum zu geben. Dann müssen wir nicht alle Mauern hinter uns einreißen. Es gibt dann kein entweder – oder, sondern ein sowohl - als auch!

Was hilft in solchen Sinnkrisen?


Natürlich wie immer eine gute Kommunikation. Mit uns selbst - das so wichtige Zwiegespräch - und auch mit den uns umgebenden Menschen. Kennen wir die Reihenfolge unserer Grundbedürfnisse, können wir uns selbst viel besser verstehen und somit auch die anderen. Wir haben die freie Wahl, die Rangfolge unserer Bedürfnisse zu verändern - und damit unsere Entscheidungen.

Die Priorität deiner Bedürfnisse bestimmt deine Lebensentscheidungen


Wenn wir uns eingestehen was uns im Leben fehlt, können wir handeln und müssen die Lösung nicht in der Gesellschaft oder beim Partner suchen. Wir werden uns einfach unseren Bedürfnisse bewusst und geben ihnen eine andere Priorität. Dies können wir augenblicklich tun, indem wir uns dazu entscheiden, eine andere Rangordnung aufzustellen. Unser Leben erfährt dadurch einen kompletten Richtungswechsel, ohne den Partner oder den Job wechseln zu müssen.

Du kannst die Rangfolge deiner Bedürfnisse jederzeit verändern


Wenn beispielsweise das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit ausgetauscht werden würde, mit dem Bedürfnis einen Beitrag im Leben zu leisten, dann wäre das private und berufliche Leben dieser Person sicherlich wesentlich abwechslungsreicher und erfüllter! Viele Frauen erleben durch eine neue Aufgabe im Leben, plötzlich ein Gefühl der Wertschätzung. Eine Aufmerksamkeit, der sie zuvor innerhalb der Familie ständig nachlaufen mussten. Dadurch, dass sie nun einen für sie wichtigen Beitrag außerhalb der eigenen Familie leisten, fühlen sie sich selbstbewusster und vom Leben genährt. Dieses positive Lebensgefühl tragen sie in ihre Familie hinein, die zwangsläufig anders auf sie reagiert. Mit mehr Respekt und Anerkennung.

Vor einer neuen Beziehung sollten wir die „Bedürfnis-Rangordnung“ des Partners abklären


Wenn wir uns als Paar zusammenschließen, macht es sehr viel Sinn anfangs die Bedürfnisse und Wünsche abzuklären, um ein böses „Erwachen“ zu vermeiden. Eine Ehefrau, bei der das Bedürfnis nach Liebe und Verbindung an erster Stelle steht, verhält sich beispielsweise ganz anders als ihr Ehemann, bei dem die Abwechslung an erster Stelle steht. Das können zwei komplett andere Lebensmodelle sein, die sich nach den anfänglichen „Honeymoon-Gefühlen“ drastisch bemerkbar machen.

SIE möchte gemeinsam schöne Abende mit ihm verbringen und eine Familie gründen, wobei ER lieber regelmäßig mit seinen Kollegen den nächsten Abenteuerurlaub plant. Wie immer geht es dann darum, über seine eigenen Bedürfnisse zu reden und einen Kompromiss zu finden, oder die Reihenfolge der Bedürfnisse so zu verändern, dass beide Partner abwechselnd zufrieden sind.

Auf der hektischen Suche nach dem Lebenssinn


In vielen Beratungen erlebe ich nervöse Klient:innen, die sich völlig verunsichert durch die Stimmen des Mainstreams, nach dem Sinn ihres Lebens fragen. Ein genauer Blick in ihr derzeitiges Leben macht schnell klar, dass momentan z.B. ihr Sicherheitsbedürfnis gar nicht erfüllt ist. Dieses Bedürfnis steht oft nicht an lässiger vierter, sondern an erster Stelle. Um sich entspannt der Sinn-Frage stellen zu können, ist es von Vorteil, sich erst einmal eine sichere Basis zu schaffen. Der Job muss eventuell erst noch gewechselt, oder ein Mietvertrag verlängert werden.

Das berechtigte Zulassen von Zweifeln kann Zeit und Geld sparen


Manchmal ist die Angst vor dem Unbekannten ein wichtiges Schutzinstrument, um noch einmal zu schauen, ob ein Richtungswechsel zum derzeitigen Zeitpunkt auch wirklich angemessen ist. Da helfen dann keine Aussagen, wie beispielsweise die manipulative Aufforderung am Ende eines Webinars: „Entscheide Dich schnell – buche den Kurs,  sonst verlierst du wertvolle Energie durch deine Zweifel.“

Wir tun gut daran, nicht ständig auf die Aussagen sogenannter „erfolgreicher Menschen“ zu hören, sondern uns unser eigenes Lebensmodell anzuschauen. Kennen wir unsere momentanen Prioritäten, können wir entscheiden, welche Bedürfnisse gerade befriedigt werden wollen, ehe wir uns um unser persönliches Wachstum oder unsere Berufung kümmern.

Entspanntes Zurücklehnen durch Fokussierung auf deine Prioritäten


Mit dem Wissen, dass wir selber unser Lebensmodell augenblicklich ändern können, indem wir die Rangfolge unserer Bedürfnisse verändern – macht uns frei von allen Mythen auf der Suche nach dem LEBENSSINN. Zusätzlich zermürbende Selbstzweifel entfallen dann automatisch. Wir lassen uns dann nicht mehr einreden, dass wir „noch nicht so weit sind“, oder noch nicht den Mut haben unsere „Komfortzone“ zu verlassen. Wir kennen einfach unsere momentanen Hauptbedürfnisse im Leben und handeln nicht mehr unbewusst danach, sondern autonom und selbstbewusst.

Es macht erst Sinn, wachsen und uns um andere kümmern zu wollen, wenn es uns selber gut geht. Wir können nur das geben – was wir auch selber schon haben. Sonst fühlen wir Stress, brennen aus und ein Burnout ist die Folge.

Es kann daher auch viel SINN machen – manchmal bewusst eigensinnig zu sein.

Tamara Heuser