Warum ist Authentizität wichtig?
Wir haben viele verschiedene Persönlichkeitsanteile
Unsere Psyche stellt keine absolute Einheit dar. Sie setzt sich aus unterschiedlichen Teilpersönlichkeiten oder sogenannten „inneren Anteilen“ zusammen, die miteinander agieren und bestenfalls ein ausgeglichenes Team bilden. Wir brauchen dieses „innere Ensemble“, um in jeder Situation angemessen und zügig reagieren zu können. Jeder Anteil hat unterschiedliche Normen und Wertvorstellungen. Daher ist es nachvollziehbar, dass sich die Anteile auch gegenseitig im Weg stehen können. Wir machen oft nicht, was wir „eigentlich“ gerne machen würden. Wir sagen etwas, was wir später bereuen oder verlieren bei einem scheinbar unwichtigen Anlass vollkommen die Nerven, obwohl wir sonst so entspannt erscheinen. Gewinnen wir wieder Klarheit über unsere Gefühlswelt, fühlen wir uns anschließend erleichtert.
Persönlichkeitsanteile entwickeln sich von Kindheit an
Alle diese „inneren Anteile“ haben sich von Geburt an entwickelt, und verfestigen sich mit fortschreitendem Alter. Beispielsweise indem bestimmte Verhaltensmuster belohnt wurden und uns soziale Anerkennung einbrachten. Andere Anteile konnten sich durch die Meinungen wichtiger Bezugspersonen verfestigen. Bei vielen Menschen haben diese Persönlichkeitsanteile oft die Stimme bestimmter Autoritätspersonen, wie z.B. die des Vaters, oder die der Mutter.
Du kannst im Alltag in verschiedene Identitätszustände wechseln
Über den Tag verteilt erlebst du verschiedenste Situationen, die unterschiedliche Verhaltensweisen auslösen. Du bist dadurch in der Lage, verschiedene Persönlichkeitsanteile zu Wort kommen zu lassen oder sogenannte unterschiedliche „Identitätszustände“ einzunehmen. Trotzdem kannst du dabei authentisch sein.
So gibt es beispielsweise den „Identitätszustand der Arbeitswelt“. Differenzierte Aufgaben werden planvoll und effizient erledigt. Viele Arbeitsschritte beinhalten abgespeicherte Informationen und Handlungsmuster, die uns im Arbeitsprozess automatisch in der „richtigen“ Art und Weise agieren lassen. Sind wir anschließend mit einer Freundin unterwegs, ändern wir unser Sozialverhalten und nehmen den „Identitätszustand der hilfsbereiten Freundin“ ein. Dieser beinhaltet ganz andere Informationen, Gefühle und Denkmuster als der aus der Arbeitswelt. Jetzt geht es um das Zeigen von Freude, Hilfsbereitschaft, Leichtigkeit und Mitgefühl.
Zu Hause angekommen, wird der „Identitätszustand der fürsorglichen Mutter“ eingenommen. Der familiäre Bezugsrahmen bedingt ein umsorgendes und beschützendes Verhalten, das oft durch die eigene Familiensituation vorgeprägt ist und daher „automatisch“ abläuft.
Deine Persönlichkeitsanteile stehen miteinander im ständigen Dialog
In verschiedensten Situationen werden stets verschiedene Gedanken, Vorstellungen, Gefühle, Erinnerungen und Fähigkeiten angesprochen. Deine inneren Anteile stehen somit in ständiger Kommunikation untereinander, meist, ohne dass du dir dessen bewusst bist. Dies läuft durch dein alltägliches Denken statt. Wenn deine Persönlichkeitsanteile gut miteinander harmonieren und du sie als solche auch anerkennen kannst, fühlst du dich wohl und „in deiner Mitte“.
Wenn du dich selbst gut kennst, kannst du auch ganz bewusst zwischen den verschiedenen Identitätszuständen wählen. Willst du beispielsweise für eine Prüfung lernen, entscheidest du dich bewusst für deine „Arbeits-Identität“ und verzichtest zunächst auf den inneren Anteil, der für die „Geselligkeit“ zuständig wäre.
Innere Anteile werden auch durch die Erwartungshaltung anderer aktiviert
Es kann vorkommen, dass eine gerade noch aufgebrachte Mutter, vom Elterngespräch mit dem Lehrer zurückkommend, ihrem Kind eine Standpauke halten will – aber plötzlich davon abgehalten wird. Wodurch? - Durch einen festlich geschmückten Tisch und den überraschend zu Besuch kommenden Cousin aus den USA. Alles ist dekoriert, Ehemann und Cousin freuen sich über die gelungene Überraschung und das Kind strahlt. Die Mutter gibt den Persönlichkeitsanteil auf, der für die Zurechtweisung ihres Kindes zuständig wäre und wendet sich stattdessen der „Teilpersönlichkeit“ zu, die für das Pflegen von sozialen Kontakten und dem Feiern zuständig ist.
Die Erwartungshaltung ihres Cousins aus Übersee hat also „automatisch“ einen völlig anderen Teil ihrer Persönlichkeit aktiviert, als von ihr vorgesehen. Sie hat ihre Freude gezeigt und damit sehr angemessen reagiert. Eine Standpauke für ihr Kind hätte die gesamte freudige Überraschungssituation ins Wasser fallen lassen.
Teilpersönlichkeiten sind je nach Situation ganz bewusst wählbar
Zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich am nächsten Tag, hat die Mutter immer noch Zeit, den „Identitätszustand der zurechtweisenden Mutter“ zu aktivieren, um ihrem Kind sozialere Verhaltensweisen nahezubringen. Am Vorabend hat sie aber den „Spagat“ zwischen ihren verschiedenen Identitätszuständen souverän gemeistert. Sie entsprach der Erwartungshaltung ihres spontanen Gastes, ohne die Absicht, ihr Kind maßregeln zu wollen, völlig aus den Augen zu verlieren.
Ein Kampf zwischen inneren Anteilen führt zu Kommunikationsproblemen
Jeder von uns hat eine ganze Reihe von Teilpersönlichkeiten, mit jeweils eigenem Persönlichkeitscharakter. Wenn wir uns dessen bewusst sind, fühlen wir uns gut. Übernehmen die inneren Anteile aber ohne unseren Willen eine Eigendynamik, wird es ungemütlich und wir werden zu Recht als „nicht authentisch“ bezeichnet. Dann agieren wir nicht aus unserer stabilen Mitte heraus, sondern fühlen uns zerrissen zwischen den verschiedene Teilpersönlichkeiten.
Hypnose, wie ich sie verwende, ist ein gutes Hilfsmitteil, um im entspanntem Zustand zurück zur Ursache des heutigen Problems zu gelangen. Es wird erkennbar, warum bestimmte Anteile in vielen Situationen eine dominante Rolle übernehmen mussten. Wenn diesen Anteilen vorurteilsfrei, neugierig und wertschätzend begegnet wird, ist der gefühlsmäßige Zugang zu ihnen wieder frei. Ein neues Verstehen ebnet die Integration aller Anteile zu einem stabilen, inneren Ensemble. Dann agieren die Persönlichkeitsanteile dauerhaft harmonisch miteinander.
Durch bloße Erinnerungen können Teilpersönlichkeiten auch aktiviert werden
Der Kontakt zu den verschiedensten Menschen, denen du in deinem Alltag begegnest, kann deine „Anteile“ manchmal ungünstig hervorholen. Eine Kundin berichtete mir, dass das Verhalten ihres Vaters bei einem gemeinsamen Arztbesuch nicht authentisch auf sie wirkte. Auf Nachfrage sagte der Vater bloß, dass der Arzt ihn an seinen eigenen Vater erinnert hätte. Er wirkte so autoritär, dass im Vater starke Ängste ausgelöst wurden, die ihn wie ein kleines hilfloses Kind fühlen ließen. Er ließ alles über sich ergehen, stellt keine einzige Frage und war nur froh, den Behandlungsraum wieder verlassen zu können. Seine ihn begleitende Tochter konnte diese Szene gar nicht glauben, kannte sie ihren Vater doch nur als eine rechthaberische und sehr dominante Persönlichkeit.
Verdrängte innere Anteile leben in deinem Unterbewusstsein weiter
Es gibt auch unerwünschte Teilpersönlichkeiten, die verdrängt wurden und damit im Unterbewusstsein gefangen gehalten werden. Sie entwickeln meist eine belastende Eigendynamik und dringen in Form von Albträumen, Zwangsvorstellungen, Angstzuständen und vielen psychosomatischen Symptomen, wie Kopf-Rücken-Herz- oder Magenschmerzen ins Bewusstsein.
Immer dann, wenn offensichtliche Symptome auf keine Ursachen zurückzuführen sind, können verdrängte Teile dafür verantwortlich sein. Unser Unterbewusstsein setzt sich immer durch. Durch die Verdrängung von störenden Persönlichkeitsanteilen, wie beispielsweise Emotionen der Wut oder der Trauer, wird stets seelische Energie gebunden. Diese Energie würde eigentlich für den Lebensalltag gebraucht werden. Die Betroffenen leiden daher nicht nur an den offensichtlichen Symptomen, sondern auch an einer starken Einbuße der gesamten Lebensvitalität. Antriebsschwäche, innere Zerrissenheit und depressive Verstimmung sind oft die Folge.
Die Authentizität leidet unter dem inneren Kampf
Die „verbannten Teile“ sitzen nicht untätig im Unterbewusstsein, sondern schmieden „Fluchtpläne“, um wieder in die Freiheit zu gelangen. Das kann sich als störender Eingriff in der Lebensführung bemerkbar machen. Auf den ersten Blick ist unser Verhalten dann nicht nachvollziehbar. Der eine Anteil möchte beispielsweise soziale Nähe und somit auf eine Party gehen, während der andere Anteil vollkommenes Alleinsein bevorzugt. Wir kommunizieren dann nicht klar, was wir wollen und unsere Mitmenschen bemerken, dass mit uns etwas nicht stimmt. So entstehen auf Dauer Kommunikationsstörungen in Beziehungen, Gefühlsblockaden und Misserfolge.
Deine Glaubwürdigkeit ist abhängig von deiner inneren Harmonie
Wünschenswert ist ein harmonisches Zusammenspiel deines „inneren Teams“. Alle Anteile arbeiten miteinander oder ergänzen sich, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Ist diese Harmonie vorhanden, fühlst du dich gestärkt, strahlst Zuversicht, Sicherheit und Souveränität aus. Die Kommunikation zu deinen Mitmenschen ist leicht und konstruktiv. Du wirst als authentisch wahrgenommen, auch wenn du unterschiedliche Facetten zeigst.
Verschiedene Persönlichkeitsanteile sind wie Gäste auf einer Party
Manche „Anteile“ fügen sich gesellig in die Gruppe ein, andere prallen aufeinander. Frieden bekommen wir erst, wenn wir als gestärktes ICH, also als ausgeglichener Gastgeber allen „Gästen“ helfen, sich einbezogen und wohl zu fühlen. Wir müssen nur darauf achten, dass nicht „irgendjemand“ in der Ecke sitzt und den Champagner alleine trinkt und damit die Stimmung der ganzen Party gefährdet. Wir sollten alle unbewussten Persönlichkeitsanteile einladen und sie symbolisch um einen Tisch versammeln. Anschließend darf jeder Anteil zu Wort kommen und einer harmonischen Einigung steht nichts mehr im Wege.
Authentizität ist Selbstverbundenheit
Meine Klient:innen lernen bei mir, die verschiedenen in Konflikt stehenden Teile in sich zu Wort kommen zu lassen und sie zu integrieren. Wenn sie anschließend mit allen Anteilen wieder verbunden sind, können sie diese auch situationsabhängig nutzen. Sie haben dann einen viel größeren Handlungsspielraum, fühlen sich frei und sind kreativ. Dann gibt es kein „Undercover-Programm“ im Unbewussten, was sie ständig aus der Balance wirft.
Ihre Verbindung zu sich selbst wird stärker und somit auch die Verbindungen zu ihren Mitmenschen. Wenn sie diese „innere Arbeit“ erledigt haben, erscheinen sie nicht mehr konfus, widersprüchlich oder sprunghaft. Ganz im Gegenteil.
Dann sind sie automatisch authentisch – egal in welcher Situation.